“Decidim Schweiz”

Was wäre, wenn ihr ein digitales Tool hättet, mit dem ihr ganz einfach komplexe Websites für partizipative Prozesse aufsetzen könnt? Die “Decidim” Community arbeitet genau daran und wir beteiligen uns nun an diesem internationalen Projekt. Unser Wunsch ist es nämlich, gute (!) digitale Partizipation auch Akteur*innen ohne Budget zu ermöglichen.

Die Klimabewegung, antirassistische Aufstände, feministisches Engagement, Nachbarschaftshilfe in Corona-Zeiten… Die Reaktionen auf die aktuellen globalen Herausforderungen zeigen, welch wichtige Rolle die Zivilgesellschaft einnimmt, indem sie Strukturen und Lebensräume eigeninitiativ, vielstimmig und zukunftsfähig gestaltet.

Wir finden: Die Mitwirkung der Bevölkerung ist mehr als ein ‘Extra’ oder ‘Luxus’ – wie mancherorts behauptet wird – und auch mehr als eine ‘Pflichtübung’ für die Verwaltung – als was es noch zu oft behandelt wird. Vielmehr ist Mitwirkung zentral für eine resiliente Demokratie. Deren Partizipation - im ehrlichen Sinne - gilt es zu stärken.

Für einen solchen kollaborativen Urbanismus brauchen wir noch Vieles. Ein drängendes Bedürfnis sind gute Online-Partizipationsplattformen.

Warum digitale Partizipation?

Wenn ein partizipativer Prozess online begleitet wird, können grössere und diversere Personengruppen einbezogen werden. Dies gilt besonders für eine junge Generation, die ihre Zukunft hinsichtlich klimatisch bedrohter Lebensräume, wirtschaftlichen Krisen und sozialer Unsicherheit für den Profit vorangegangener Generationen dahinschwinden sieht.

Dies gilt explizit auch für Bevölkerungsgruppen, die sich im physischen Raum nicht zeigen können oder dürfen. Digitale Tools ermöglichen eine orts- und zeitunabhängige Partizipation, was all jenen zugute kommt, die sich z.B. nicht einen ganzen Samstagnachmittag um einen “runden Tisch” setzen können. Gute digitale Instrumente ermöglichen es also, dass Partizipation überhaupt als diverserer Prozess ernst genommen werden kann.

Bereits 2013 entwickelte unser Komplizen-Verein Nextzürich ihre digitale und partizipative Ideenkarte. Aufgrund dieser Erfahrungen machten wir uns weiter Gedanken zu Online-Partizipationsplattformen, etwa mit dem Konzept Quartieridee oder der Idee der übergreifenden Partizipationsplattform “partizüri”. Im Rahmen der Vorbereitungen eines ersten Testlaufs eines partizipativen Budgets mit dem Quartierverein Wipkingen und der Stadtentwicklung Zürich sind wir schliesslich auf die Beteiligungsplattform “Decidim” gestossen.

Decidim als internationale Gemeinschaft

Decidim” ist eine umfassende Partizipationsplattform, mit der viele Personen gemeinsam Lösungen erarbeiten und Entscheidungen treffen können. Sie wurde in Barcelona entwickelt und international weiter getestet (z.B. Helsinki). Hinter der Plattform steht eine aktive Community, welche die Open Source Software laufend weiterentwickelt.

“Decidim” erlaubt es, Beteiligungsprozesse frei aus Prozessmodulen zusammenzusetzen. So können Communities online Ideen sammeln, Umfragen und Abstimmungen durchführen, Budgets verteilen, den Stand von Umsetzungen beleuchten oder einander über Blogs informieren. Die Plattform fördert dabei die Selbstvernetzung der Nutzenden.

Wir haben uns jedoch nicht nur wegen dem grossen Funktionsumfang für “Decidim” entschieden. Denn vor allem erfüllt diese Plattform hohe Anforderungen im Bereich Datenschutz, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Gleichstellung und Integrität.

Die “Decidim” Community arbeitet nach einem eigenen social contract, dem wir uns auch verschreiben. Das “Decidim” Projekt ist wiederum eingebettet in einen übergreifenden ethischen Standard der digitalen Partizipation. Die Stadt Barcelona ist im Verbund der cities for digital rights und hat ethische Richtlinien in Form eines Open Source policy toolkits aufgestellt sowie ein Manifest für technologische Souveränität verfasst.

Decidim screen
decidim.org

Digitalisierung zu welchen Bedingungen?

Für demokratische Onlineprozesse sehen wir es als wichtigsten Grundsatz, dass die betreffende IT-Technologie Open Source bleibt, im Besitz von allen, zugänglich und veränderbar für alle. Die Technologie gehört mitsamt den gesammelten Daten in die Hände derjenigen, die damit partizipieren. Diese Meinung teilt übrigens auch der Bundesrat in seinem Bericht über Civic Tech vom 8. Mai .

Die Richtlinien aus der “Decidim” Community geben wertvolle Grundsätze für die digitale Partizipation. Für die nahe Zukunft gilt es nun, diese ethischen Richtlinien lokal auszuarbeiten und zu konkretisieren - ähnlich wie sich etwa Nextzürich & Tsüri.ch mit ihrem Manifest zu Smart Cities an die Stadt Zürich gerichtet haben.

Decidim zugänglicher machen


Wir sind beeindruckt von der Vorarbeit von der “Decidim” Community und möchten etwas zu diesem Projekt beitragen. In unseren eigenen Tests haben wir nämlich gemerkt, dass “Decidim” noch vertiefte technische Vorkenntnisse braucht, um eigene online Partizipationsprozesse zu starten. Das bedeutet für viele Projekte ohne eigene IT-Fachpersonen, dass hohe Investitionen nötig sind, um die Software benutzen zu können.

In diesem Bereich bauen wir nun Hürden ab. Dafür haben wir uns mit der Komplizin Puzzle ITC GmbH zusammengeschlossen. Wir wünschen uns, dass gerade auch kleinere Gemeinden und zivilgesellschaftliche Organisationen diese Technologie einfach und kostengünstig für sich verwenden können! Denn nur durch möglichst viele Anwendungsfälle in unterschiedlichen Grössenordnungen und Anwendungsfeldern entsteht politische Legitimation. Folgende Aspekte entwickeln wir aktuell weiter:

> Zugänglichkeit erhöhen, indem das Aufsetzen einer eigenen Website auf der Basis von “Decidim” vereinfacht wird.

> Adaptierbarkeit an verschiedene Bedürfnisse erhöhen, indem Einstellungen vereinfacht werden und das Backend für inhaltliche und grafische Anpassungen möglichst flexibel gestaltet wird.

> Mehrsprachigkeit einbauen und verbessern


Möchtet ihr auch Teil des Projektes sein?

Wir kooperieren mit verschiedenen Akteur*innen, welche diese Plattform für sich ausprobieren möchten. Seid ihr interessiert an einem Testlauf? Zum Beispiel um einmal auszuprobieren, wie ein Budget partizipativ verteilt werden kann, Ideen gemeinsam eingereicht und entwickelt werden können oder für die Selbstorganisation eines Kollektivs? Oder seid ihr IT-Fachpersonen, Designer*innen, Sozialarbeiter*innen, … und möchtet ihr euch in der “Decidim” Gemeinschaft einbringen? Meldet euch gerne unter lars@urban-equipe.ch.

PS: Hier gibts es weitere Infos zu unserer Plattform.

Transparenz zur Finanzierung: Unser bisheriger Einsatz wurde durch viel ehrenamtliches Engagement, die Förderung durch Engagement Migros sowie finanzielle Beiträge der Stadt Zürich und egovernment ermöglicht. Die von uns erarbeitete Plattform “Decidim Schweiz” ist und bleibt Open Source, d.h. ist - abgesehen von den eigenen Betriebskosten - für alle kostenlos anwendbar und veränderbar. Diese Plattform verkaufen also weder wir noch unsere Kompliz*innen als Produkt. Damit wir weiterhin möglichst viel Zeit in diese Plattform geben können, suchen wir Förderungen. Zudem ist es uns möglich, für Umsetzungen bezahlte Kooperationen einzugehen, wenn dies benötigt wird und möglich ist: Etwa projektspezifische Prozesskonzepte zu erarbeiten, diese Plattform bedürfnisgerecht aufzusetzen und auch die dazugehörigen offline partizipativen Formate umzusetzen. Solche bezahlten Kooperationen für konkrete Anwendungen dieser Plattform ermöglichen es uns, die Open Source Software weiter zu entwickeln. Alle Entwicklungen stellen wir wiederum Open Source zur Verfügung. Denn bei all dem geht es uns darum, dass möglichst viele und unterschiedliche Nutzer*innen diese Technologie für ihre eigenen Prozesse aneignen können.